Luftverkehrsrecht



"Das Luftrecht und damit die synonym gebrauchten Begriffe Luftverkehrs- und Luftfahrtrecht sind von Alex Meyer, dem Vater der deutschen Luftrechtswissenschaft, wie folgt definiert worden: »Luftrecht ist die Gesamtheit der rechtlichen Sondernormen, welche sich auf die Benutzung des mit Luft angefüllten Raums oberhalb der Erdoberfläche durch Geräte beziehen, die sich kraft der Eigenschaften der Luft im Luftraum halten und deren Unterstellung unter die Sondernormen des Luftrechts nach vernünftiger Verkehrsanschauung geboten erscheint« (Meyer, Luftrecht, S. 61).


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Das Luftverkehrsrecht als die Gesamtheit der Rechtsnormen, die sich auf die Verwendung der Luftfahrzeuge beziehen, ist von sehr komplexer Natur, weil zahlreiche Tatbestände einer Regelung bedürfen, die rechtssystematisch verschiedenen Rechtsgebieten angehören. Auf das damit zusammenhängende Problem der Kollision luftverkehrsrechtlicher Vorschriften mit denen anderer Rechtsgebiete wird in dem Kapitel »Abgrenzungsfragen« eingegangen.

Die Normen des Luftverkehrsrechts lassen sich zunächst nach ihrem Regelungsgegenstand dem privaten oder öffentlichen Recht zuordnen. Nach ihrem Geltungsbereich können das nationale, supranationale (d. h. von der EU erlassene und unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltende) und internationale Recht unterschieden werden.


Die privatrechtlichen Normen des Luftverkehrsrechts (Luftprivatrechts) beziehen sich in erster Linie auf Haftungs- und Versicherungsfragen, die beim Betrieb von Luftfahrzeugen auftreten können. Dabei ist zwischen der Haftung aus dem Beförderungsvertrag und der Haftung für Drittschäden durch Absturz oder Zusammenstoß von Luftfahrzeugen zu unterscheiden. Zum privaten Recht gehören des Weiteren Regelungen über Rechte an Luftfahrzeugen, die Benutzung der Flugplätze, nachbarschaftsrechtliche Fragen aus dem Verhältnis der Anlieger zum Flugplatz oder die Rechte des Grundeigentümers gegenüber überfliegenden Luftfahrzeugen.


Das öffentliche Luftverkehrsrecht ist seiner Natur nach umfangreicher und vielgestaltiger als das private. Dies erklärt sich daraus, dass in erster Linie Sicherheitsgründe eine umfassende Regelung des Luftverkehrs erforderlich machen. Hierzu gehören insbesondere die mit der Zulassung und dem Betrieb des Luftfahrtgeräts zusammenhängenden Vorschriften, die Erlaubnisse für das Luftfahrtpersonal und die Genehmigung der Flugplätze. Daneben bestehen ordnungspolitische Regelungen wie diejenigen über Verkehrsstatistiken.


Während sich der Geltungsbereich des nationalen Luftverkehrsrechts auf innerstaatliche Vorgänge ohne Auslandsbezug beschränkt, regelt das internationale Luftverkehrsrecht die Rechtsbeziehungen, die beim grenzüberschreitenden Luftverkehr auftreten. Diese Rechtsbeziehungen können sowohl privat- als auch öffentlich-rechtlicher Natur sein. Sie sind zum großen Teil durch zwei- oder mehrseitige Vereinbarungen zwischen den beteiligten Staaten geregelt, die als internationale Luftfahrtabkommen bezeichnet werden3. Hiervon sind auf dem Gebiet des Privatrechts das 2003 in Kraft getretene Montrealer Übereinkommen und dessen Vorgänger – das Warschauer Abkommen – sowie auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts das Abkommen von Chicago hervorzuheben. Soweit das internationale Luftverkehrsrecht nicht kodifiziert ist, folgt es als öffentliches Recht den Regeln des Allgemeinen Völkerrechts und als Privatrecht denen des Internationalen Privatrechts. Zunehmende Bedeutung für den Luftverkehr (in Deutschland und der Europäischen Union) gewinnt das supranationale Recht. Als Luftverkehrsrecht der Europäischen Union regelt es den Luftverkehr innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie die Tätigkeit von EU-Luftverkehrssubjekten. Der Luftverkehr innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten der EU basiert sowohl auf primärem (d. h. Gründungsvertrags-) als auch auf sekundärem (von den Organen der EU erlassenem) Unionsrecht. Darüber hinaus gelten die Rechtsakte der EU (bis auf wenige Ausnahmen) auch in den nicht der EU angehörenden Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und der sog. umfassenden Luftverkehrsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und einem Drittstaat andererseits (z. B. das Abkommen mit der Schweiz über den Luftverkehr sowie die Abkommen zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums und die Europa‐Mittelmeer‐Luftverkehrsabkommen). Soweit EU-Regelungen bestehen, wird das nationale Recht der Mitgliedstaaten vom Recht der EU überlagert (Vorrang des Unionsrechts)."


Dr. iur. Walter Schwenk/Prof. Dr. iur. Elmar Giemulla, 
unter Mitarbeit von Dr. jur. Heiko van Schyndel
Handbuch des Luftverkehrsrecht, 5. Auflage, Köln 2018, Kap. A Rn. 3 und Kap. B Rn. 5 ff.